Die Dreißiger Jahre: Landwirte machen Fuhrwerke zu Tribünen
Der nun eigenständige Verein steigt in die Gauliga auf ? Bis zu 6000 Zuschauer drängen sich am Feld (aus Rüsselsheimer Echo vom 19.8.2006)
Als Rüsselsheims ältester Fußballclub im Juni 1931 im ?Adler? in der Frankfurter Straße sein 25-jähriges Bestehen feierte, hieß er bereits seit drei Jahren auf Wunsch seiner Mitglieder SC Opel, bildete aber seit dem Zusammenschluss 1918 noch immer eine Abteilung innerhalb der TG 1885. Doch schon zuvor, als noch der Gründername SC Borussia auf der Vereinsfahne prangte, gab es reichlich Probleme, stritt man in wirtschaftlich schweren Zeiten über die Finanzen und Trainingszeiten auf dem gemeinsamen Gelände an der Haßlocher Straße in Höhe der heutigen Planck-Schule.Geldnöte hatten neben den gefürchteten Reisestrapazen auch dafür gesorgt, dass Deutschland ein Jahr zuvor auf die Teilnahme an der ersten Weltmeisterschaft verzichtet hatte. Bei der Premiere 1930 in Uruguay mit nur 13 Teilnehmern nutzte Uruguay den Heimvorteil im Centenario-Stadion, wo alle Partien ausgetragen wurden, um als erster Weltmeister in die Geschichte einzugehen. Von den Ereignissen in Südamerika nahmen die Medien hierzulande aber wenig Notiz ? man hatte andere Sorgen.
Im Juli 1933 wurden in getrennten Versammlungen die sich schon lange andeutende Spaltung von TG 1885 und SC Opel beschlossen. Ihr Eigenständigkeit mussten sich die Fußballer letztlich mit der Übernahme des Großteils der Schulden in Höhe von 3500 Reichsmark, die ein Privatmann beglich, und einer fünfjährigen Jahrespacht für das zuvor gemeinsam mit der TG erworbene Sportgelände erkaufen.
Nach konstituierender Sitzung am 29. Juli 1933 und der Namensänderung hieß der Traditionsverein dann, wie er heute noch heißt: SC Opel 06. Mit 195 Mitgliedern, die monatlich 70 Pfennig Beitrag berappen mussten (Jugendliche und Erwerbslose 30 und Schüler 10 Pfennig), starteten die Kicker unter dem Vorsitzenden Paul Lutz in die neue Ära.
Sportlich hielt die erste Männermannschaft, die seit Ende der zwanziger Jahre stets der Spitzengruppe der Kreisliga Rhein-Main angehörte, ihr Niveau. Der SCO, bei dem die Nachwuchsarbeit dank des rührigen Jugendleiters Karl Bog und des Trainers Hans Euler immer intensiver betrieben wurde, gehörte zwar noch nicht zur Spitze, aber immerhin zu den besseren Adressen der Region.
In der Saison 1931/32, als der SCO nach Umgruppierungen in der Kreisliga Wiesbaden spielte, wurden die Gelb-Schwarzen zum Meister erklärt, nachdem das Entscheidungsspiel gegen die punktgleichen Flörsheimer wegen Ausschreitungen bei einer Führung des SCO abgebrochen werden musste. In den Aufstiegsspielen scheiterte Rüsselsheim aber unter anderem am VfR Bürstadt.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sollte es dann auch im Sport zu einschneidenden Veränderungen kommen. Auf Geheiß des Reichssportführers gab es ab 1935 für Sportvereine eine Einheitssatzung, Vereinsführungen wurden von den Nazis bestimmt, und eine Versammlung hatte zwingend mit dem ?Horst-Wessel-Lied? zu enden.
Mit der Gleichschaltung der Vereine ging auch eine neuerliche Umstrukturierung der Klassen einher. Ab der Saison 1933/34 spielte der SC Opel in der Rheinhessen-Gruppe der Bezirksliga Main-Hessen, der damals zweithöchsten Liga. Zwar vertändelten die Rüsselsheimer zur Enttäuschung ihrer vielen mitgereisten Fans Titel und Aufstieg am letzten Spieltag in (Mainz-) Weisenau, holten aber die Runde drauf Versäumtes nach.
Mit dem abschließenden 2:1-Erfolg über den FSV Mainz 05 wurde das Team um Trainer Kabel Bezirksmeister. Und Spieler wie Roosen, Schucker, Malterer und der von Rot-Weiß Frankfurt gewechselte Wirbelwind Buttirony behielten dann auch in der Aufstiegsrunde die Nerven.
Doch gute Nerven benötigten damals auch die Verantwortlichen und Platzordner, weil das Gelände an der Haßlocher Straße den Zuschauermassen nicht gewachsen war. Zwar stellten Rüsselsheimer Landwirte ihre Fuhrwerke als Tribünenersatz zur Verfügung, doch längst nicht alle der wohl über 5000 Anhänger konnten sehen, wie gekonnt die starke SCO-Abwehr Gäste-Nationalspieler Edmund Conen im Griff hatte.
Damit holte der SC Opel gegen den FV Saarbrücken ein 0:0 heraus und sollte das Rückspiel an der Saar gar mit 1:0 gewinnen ? womit der Sprung in die Gauliga Südwest als damals höchste Spielklasse gemeistert war.
Dass mit der steigenden Popularität auch eine geeignetere Spielfläche her musste, war auch den Stadt-Oberen klar. Angedacht war ein Platz zwischen Festung und Opelbrücke, wo das heutige Stadion steht. Die SCO-Verantwortlichen lehnten aber einen Verkauf ihres Geländes dankend ab, weil es ihnen am Main zu nass und im Winter zu kalt sei. Die Kicker träumten vielmehr von einer Anlage hinter der Kolonie oder an der Chaussee nach Königstädten.
Aus der Gauliga musste der SCO nach Partien gegen mit Nationalspielern bestückten Teams wie Eintracht Frankfurt, Kickers Offenbach und Fortuna Düsseldorf trotz guter Leistungen auch zum Leidwesen seiner bis zu 6000 Zuschauer in der Saison 1935/36 wieder absteigen.
1937, als die Stadt Rüsselsheim ihr 500-jähriges Bestehen feierte, startete der SCO unter dem prominenten Frankfurter Trainer Paul Oßwald seinen zweiten erfolgreichen Versuch. Oßwalds Strategie, auch in Rüsselsheim das gerade in Mode gekommene WM-System (mit drei Stürmern und zwei Halbstürmern) einzuführen, fruchtete. Der SCO holte sich die Rheinhessenmeisterschaft und stieg mit dem 1. FC Kaiserslautern erneut auf.
Garniert wurde der Titel mit Triumphen im erst 1935 aus der Taufe gehobenen DFB-Pokal. Selbst Alemannia Aachen und Wormatia Worms warf der SCO aus dem Rennen, ehe das 1:7 bei Fortuna Düsseldorf die Endstation bedeutete. Der Einzug ins Achtelfinale hatte aber immerhin dafür gesorgt, dass auch Opel-Spieler auf den bei Sammlern heiß begehrten Fußballerbildern in Zigarettenschachteln auftauchten.
Und schon damals gab es den ?Kicker?, der befand, dass der SC Opel wohl zu schlecht für die Gauliga und zu gut für die Bezirksliga sei. Womit die Fachzeitschrift wohl recht hatte, denn auch dem zweiten Aufstieg folgte postwendend der Wiederabstieg. Doch aller guten Dinge sind drei: Im Sommer 1939, als im Fußball die Rückennummern offiziell eingeführt wurden, meisterten die Gelb-Schwarzen nach Bezirksmeisterschaft via Aufstiegsspielen erneut den Sprung in die höchste Klasse. Der Jubel sollte aber vor allem bei denen schnell verhallen, die wenig später in den Krieg eingezogen wurden.
Norbert Beck